Sybille und Hartmut Jatzko

            Beispiele       

                Beispiel der Traumabehandlungdurch eine Gruppe.
In der Nachsorge für die "kleineren Katastrophen", wo Menschen durch ein außergewöhnliches Ereignis eine seelische Verletzung erlitten haben, gründeten wir in der Volkshochschule eine Traumagruppe mit 18 Teilnehmern und erleben diese Gruppe als sehr hilfreich. 
Die verschiedensten Berufszweige sind hier anwesend. Lokführer, Bankangestellte, Betroffene nach Verkehrsunfällen Feuerwehrmänner, Polizeibeamte, Kriminalpolizei, Kassiererinnen, Rettungsassistenten. 
Wir wollten mit dieser Einrichtung einigen Betroffenen eine anonyme Teilnahmeermöglichen, da in manchen Berufszweigen die in Anspruchnahme
dieser Hilfen von beruflichem Nachteil ist. 
Die Betroffenen berichten nach 2 Semestern Zusammenkunft von folgenden Vorteilen:
1. In der Gruppe erfahren sie das erste Mal nach dem Ereignis von anderen Betroffenen, dass ihre Veränderungen genauso oder sehr ähnlich erlebt wird.
2. Aus dem anfänglichen Gefühl nicht sprechen zu können oder sich innerlich nicht konfrontieren zu wollen, entsteht langsam ein Auftauen, wenn jeder sein eigenes Tempo entwickeln darf und zu nichts gedrängt wird. 
3. Im Zuhören von anderen Erlebnissen und Schicksalen vergleicht der Betroffene seine eigenen inneren Erlebnisse. Die Unterstützung, dass jeder sein eigener Experte ist, ermöglicht ein Vertrauen in sich und andere. 
4. Da diese Gruppe offen ist und jederzeit akut Betroffene hinzukommen dürfen, entstand der Ritus sich jedes Mal wieder vorzustellen. Das ließ uns die Erkenntnis gewinnen, dass die immer wieder neu erzählte Geschichte mit neuen Details ergänzt wurde. Nach dem 5. oder 6. Bericht kam die Rückmeldung: "es ist nicht mehr so schlimm." Die belastende Spannung, ausgelöst durch die inneren Bilder, nahm mit der Häufigkeit des Berichtens ab. Da dieses eine Form der inneren Konfrontation ist, kann mit dem immer wieder Erzählen das eigene Tempo gewählt werden.
 
5. Da viele ein Misstrauen gegenüber Menschen erleben von denen sie sich nicht verstanden fühlen, baut sich in der Gruppe ein neues Vertrauen auf. Dieses gibt mehr Sicherheit auch außerhalb der Gruppe. Da im Umfeld die seelische Wunde nicht gesehen wird, müssen sie sich ständig rechtfertigen. Inder Gruppe fühlen sie sich verstanden. Das entlastet sie sehr.
6. Im Berufsleben, wo ein Weiterführen des Berufes durch das Trauma nicht mehr möglich ist, können die Betroffenen nicht sagen, dass es ihnen wieder gut geht. ( Lokführer) Es wird nicht verstanden, dass sie in der eingeschränkten Dienstfähigkeit nicht mehr fahren zu müssen eine Entlastungerfahren. Die Seele kann sich durch diese Sicherheit erst wieder erholen. Wenn sie berichten, dass es ihnen wieder gut geht, werden sie dazu gedrängt, das zutun, was ihnen nicht mehr möglich ist.
7. Das Trauma lässt eine Erinnerung an das Erlebte nur bruchstückhaft zu. Diese Menschen beschreiben, dass die Schilderungen anderer Gruppenmitglieder ihre eigenen Erinnerungen, die sie als versteckt erleben,
anstoßen. Diese gelangen dann ins Bewusstsein und können in den Verarbeitungsprozess integriert werden.
8. Der Verlust der Lebensqualität wird in der Gruppe besser kompensiert, da hier neue Qualitäten entdeckt und gefördert werden. 

Betroffene in der Trauer

A) Ein Ehepaar hatte am Flugtag Ramstein seine 4-jährige Tochter verloren, ihr einziges Kind. Sie waren selbst brandverletzt in unsere Klinik gebracht worden. Ein amerikanischer Soldat riss dem Vater die Tochter, die durch die Verbrennung erblindet war und nach ihm schrie, aus den Armen. Nach Monaten sollten sie dann in einer Fachklinik ihre "Trauerarbeit leisten". Dass ihr Sinn im Leben verloren war, wurde nicht ernst genommen. Sie hielten es nur 8 Tage dort aus. Es fehlte die einfühlende, barmherzige Wärme eines Menschen in der Trauer, die den Eltern hätte Hoffnung auf Begleitung bedeuten können. Die beiden schwerleidenden Eltern versuchten gleichermaßen durch ablenkende Aktivität das Leben wieder anzupacken. Ein erneuter Unfall der hinterbliebenen Mutter erzeugte  Krampfanfälle. Der brandnarbenveränderte Vater arbeitete wieder. Das Leben wollte aber nicht mehr zurückkommen. 9 Jahre nach der Katastrophe entwickelteer einen Lungenkrebs und wurde mit den heute üblichen Verfahren, wie Operation, Bestrahlung und Chemo-, behandelt. Die Bilder der schwerstverletzten kleinen Tochter mit den ausgebreiteten, nach den Eltern suchenden Ärmchen, kommen bei beiden in den Alpträumen, als Einladung zu ihrem Engelchen zu kommen, immer wieder vor. Diese Eltern kamen nur selten in unsere Nachsorgegruppe. Sie warenzugewandt freundlich aber nicht wirklich erreichbar, sagen Mitglieder der Schicksalsgemeinschaft. Er starb im Dezember 2000 mit 49 Jahren. Diese "Verschweißung in der Trauer" haben wir mehrmals erlebt. Nach dem Tode ihres Mannes konnte sie das Leben nicht mehr aufnehmen und nach längerem Kampf wurde ihr Wunsch zu ihrere Familie zu kommen erhört. Im Juli 2004verstarb sie mit 49 Jahren.

B) Ein Onkel fuhr mit seinem 15-jährigen Neffen zum Flugtag. Der Junge kam nicht wieder. Er wurde als Letzter identifiziert. Schwere Schuldgefühle plagten den Onkel, weil er ihn mitnahm und ihn nicht beschützen konnte. Niemand machte ihm Vorwürfe. Er zog sich infolge des traumatischen Erlebnisses von der Umwelt zurück. Der Vater, sein Bruder entwickelte eine schwere Alkoholphase, die zu einer ernsthaften Ehekrise führte. Darin verbot er, dass das Zimmer des Sohnes auch nur angerührt werde. Alles sollte so bleiben, wie er es verlassen hatte. Die Mutter und der 10-jährige Bruder des Verstorbenen wollten aber eine Veränderung, der Bruder das Zimmer für sich haben. In der Gruppe erfuhren alle Drei, dass es anderen ähnlich ging. Der Alkohol wurde wie ein Medikament vom Vater gegen die für ihn unerträgliche Trauer eingesetzt. Unter Alkohol wurde es ihm leichter. Die Aufforderung und die Erlaubnis von anderen Betroffenen heftig und erschöpfend auch am Grab zu trauern, erleichterte. Sie begannen eine Ehepaartherapie, die ihnen sehr half. Der Vater bestand eine Umschulung und wird nun in einem neuen Beruf wohl Erfüllung finden. Die hinterbliebene Mutter machte ebenfalls eine Ausbildung. Sie sind durch die unterschiedliche Trauerselbständiger geworden, was sie als Ehepartner auf eine befreiende, die Abhängigkeit lösende, reifere Art zueinander brachte. Beide wurden dann zu Helfern und kamen mit zu dem ersten Treffen nach dem Birgenairabsturz. 

C) R. verlor in der Dominikanischen Republik ihre 2 kleinen Kinder und ihren Mann. Sie hatten zuvor eine Ehekrise. Für die vor Weihnachten gebuchte Flugreise bekam sie keinen Urlaub, weil es der angespannte Dienstplan im Krankenhaus, wo sie als Schwester arbeitet, nicht erlaubte. Sie protestierte nicht, sondern war heimlich froh, dass sie nicht mit musste. Dafür büßt sie nun mit schweren Schuldgefühlen, denn das hat sie nicht gewollt. Gerade sie wird durch ein schlechtes Gewissen immer wieder zurückgeholt, wenn sie mit ihrem neuen Freund wieder glücklich sein möchte. Dieses erlaubt ihr nach dem schrecklichen Verlust (noch?) keine neuen Entscheidungen. In dem Konflikt raucht sie sehr stark und gefährdet ihr Leben wie in einer Buße.

D) Zum zweiten Nachsorgetreffen der Birgenairhinterbliebenen in Erfurt kamen unter anderem auch ein älteres Ehepaar, die vier Angehörige verloren hatten. Für die Frau war es wichtig zukommen, ihr Mann war jedoch sehr versteinert und verbittert. Er antwortete mit sehr viel Wut und wollte sowieso nicht mehr kommen, da es ja keinen Sinn mehr hat. Gleichzeitig waren 4 Jugendliche anwesend, die ihre Eltern verloren hatte. Die älteste war 19 dann kamen ein Zwillingspäarchen mit 17 und ein Junge mit 9Jahren. Alle diese 4 Kinder wollten zusammen in dem Haus bleiben. Das Jugendamt hatte sich eingemischt und wollte den 9 Jährigen in ein Heim geben. Die 4wollten nun dagegen ankämpfen. Hierzu brauchten sie die Unterstützung der anderen Betroffenen. Besonders setzte sich nun der ältere Herr ein, der seine Wut nun auf das Jugendamt lenkte und so mit viel beratender Kraft den Jugendlichen half, damit sie zusammen bleiben konnten. - Diese Lösungen finden Menschen in einer Schicksalsgemeinschaft selbst heraus. Für den Herrn war es ein neues Lebensziel, wenn auch nur für einen Augenblick. So kam er doch ausseiner Depression heraus und wurde ein beratender Großvater und ist es heute noch.

E) B. verlor bei einem Flugzeugabsturz in Australien seine Frau und sein 4-jähriges Töchterchen. Er war der einzige Überlebende. Sein rechter Arm und sein rechtes Bein waren verbrannt. In einer modernen Verbrennungsklinik hätte er kaum eine Überlebenschance gehabt. Ureinwohner fanden ihn, wickelten ihn in vermutlich antibiotisch wirkende Blätter und gaben ihm viel zu trinken. Erst nach 3 Wochen wurde er in eine Klinik geflogen. Danach erfuhren es seine Eltern in Deutschland, die dann 5 Monate kostenlos an seiner Seite bleiben durften (bei uns, wo auch im Krankenhaus nur noch das gemacht wird, was sich rechnet, nicht mehr vorstellbar. B. ist heute, 11 Jahre nach dem Unglück wiederverheiratet. Seine Frau brachte eine Tochter mit, die er nun als seine eigene, als ein Geschenk annimmt. Sein Leben hat sich langsam gewandelt, es kam wieder, aber seine Seele vergisst nicht. Er hat in Träumen das Einverständnis seiner verstorbenen Frau und seines Kindes bekommen und das hat ihn erst fähig gemacht, ein zweites Leben anzunehmen. Auf seinem kleinen Schiff, das er sich als Computerfachmann leisten kann, beginnt er sich mit seiner neuen Familie wohl zu fühlen. 

Wer seine Eltern verliert - verliert seine Vergangenheit
Wer seinen Partner verliert - verliert seine Gegenwart
Wer sein Kind verliert - verliert seine Zukunft

Der Volksmund hat nicht Recht, dass die Zeit alle Wunden heilt.
Die Zeit heilt nicht alle Wunden, sie lindert nur den Schmerz
Und manchmal trübt sie die Erinnerung.
Die Zeit heilt keine Wunden, aber Wunden die heilen brauchen Zeit,

Ein Beispiel eines Fragebogens, der von den Birgenair Hinterbliebenenausgefüllt wurde.

1) Was waren es für Beeinträchtigungen/Beschwerden und wie haben sie sich ausgewirkt:
(Körperlich, seelisch, sozial )
Körperlich und seelisch stand ich voll neben mir. Ich konnte die einfachsten Sachen nicht mehr erledigen, wie vorher. Ich stand ganz schön unter Schock und war sehr aufgeregt.

2) Nach welcher Zeit (Stunden, Tage, Wochen, Monate) nach der Katastrophe traten die Beeinträchtigungen auf?
(Körperlich, seelisch, sozial)
Der Schock trat kurz danach auf, als ich von dem Unglück erfuhr. Genau so wie die anderen Beeinträchtigungen.

3) Wie lange dauerten, bzw. dauert die Beeinträchtigung an?
(Körperlich, seelisch, sozial)
Der Schock dauert ca. 1 Monat oder so, es ging dann in ein nicht Begreifen über, dass eigentlich bis heute noch andauert. Auch jetzt noch nach 2 Jahren nach dem Unglück bin ich bei Sachen und Angelegenheiten, die die Sache betreffen sehr aufgeregt. Ich kann auch manchmal keinen klaren Gedanken fassen. Außer das Nachsorgetreffen, das hilft mir sehr, alles zu verarbeiten.

4) Was erlebten Sie während der Krise als erschwerend, als zusätzlich belastend?
(Körperlich, seelisch, sozial)
Die Bewältigung der Behördengänge. Das ich auf mich allein gestellt war und von der Regierung keine Hilfe und Unterstützung bekommen habe ( z.B. Anträge, Sterbeurkunde). Wie oder was zu tun war, habe ich von den Medien und aufmerksamen Freunden erfahren. Sogar die Behörden wussten über vieles nicht  Bescheid. - wie die Sterbeurkunde.

5) Wenn sie an der Nachsorge teilgenommen haben, welchen Stellenwert hatte diese in der Bewältigung ? 
(Körperlich, seelisch, sozial)
Die Nachsorge hat einen sehr großen Stellenwert für mich. Ihr seid so lieb zu uns. Ihr hört uns zu, was wir für Probleme haben, wie wir uns fühlen. Ihr gebt so viel Kraft in die Gruppe und das tut mir gut. Bei Euch fühle ich michverstanden, was im privaten Leben nicht überall der Fall ist. Es tut mir gut mit gleich Betroffenen und Euch zu sprechen. Das ist ganz wichtig. Es ist ein schreckliches Schicksal, was uns alle 
zusammengeführt hat, aber für mich ist es jetzt wie eine große Familie, mit der ich mich gerne treffe, um zu reden. Wir haben alle jemanden verloren und das tut sehr weh. Aber wir haben uns und somit auch neue Freunde dadurch gefunden, die alle gleich fühlen. Dass kann zwar nicht den Schmerz nehmen, aber helfen, ihn ein wenig besser zu verarbeiten. Vielen Dank an Euch! 


   

 
 
 
 
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